Trotz einer guten medizinischen Versorgung kommt es bei Hämophilie-Patienten zu chronischen Beschwerden. Eine neue Therapieform könnte dies nachhaltig ändern. // Lukas Zahrer

Der große Traum eines Hämophilie-Patienten, wie sollte es auch anders sein, besteht aus einer Spritze. Eine ganz besondere Injektion, die ausreichen soll für das restliche Leben. Eine einmalige Behandlung, die Sorgen auslöscht und Ängste nimmt. Die Spritze steht für einen konkreten Wunschgedanken: Ich bin geheilt.

Bei der schweren Form der Hämophilie gerinnt das Blut nicht. Ein Gerinnungsfaktor fehlt, deshalb schließt sich etwa eine Schnittwunde weitaus langsamer als bei einem gesunden Menschen. Noch weitaus gefährlicher können innere Blutungen sein. Ein Umknöcheln im Tanzkurs und das Sprunggelenk schwillt an; ein Sturz beim Radfahren, das Knie bläht sich auf. Fatal können Kopfverletzungen werden, wenn eine Blutung im Gehirn entsteht und immer weiter zunimmt.

Bitte nicht falsch verstehen: Menschen mit Hämophilie sind nicht ungeschickter als andere. Diesem Stigma begegnen Patienten häufig im jungen Alter. Mal wird in der Schule der Turnunterricht verwehrt, andere finden überhaupt nur schwer einen Platz in einem Kindergarten. Wir sagen gerne: Hämophile sind nicht krank, sie sollten nur etwas vorsichtiger sein.

Denn die Hämophilie lässt sich therapieren. Jenen Gerinnungsfaktor, der im Blut fehlt, spritzen sich die Patienten intravenös. Dann werkelt der Körper wie beim gesunden Menschen. Das Problem: Dieser Zustand hält nicht lange. Der gespritzte Gerinnungsfaktor baut sich wieder ab. Sehr schnell. Manche Patienten erreichen schon nach weniger als zwei Tagen einen kritischen Bereich, in dem kaum noch Faktor übrig ist. Es braucht die nächste Spritze, erst dann ist der Faktorlevel wieder „aufgeladen“.

Es sind genau jene Phasen mit niedrigen Faktorwerten, die sogenannten Talspiegel, die gefährlich sind. Dann können Blutungen auftreten. Selbst wenn sich der Patient strikt an die Vorgaben zur Selbstbehandlung hält, können chronische Entzündungen in Gelenken entstehen. Im schlimmsten Fall entsteht auf Dauer eine schmerzhafte Arthrose.

Rezept einschleusen

Nun soll eine spezielle Spritze helfen: die Gentherapie. Forscherinnen und Forscher arbeiten seit vielen Jahren an einer Revolution in der Hämophiliebehandlung, man kann es nicht anders sagen. Die Gentherapie soll über eine lange Dauer für höhere Faktorspiegel sorgen. Der Grund zur Blutungsneigung wäre damit zumindest entschärft, wenn nicht sogar komplett eliminiert.

Hämophilie ist eine Erbkrankheit. Ein fehlerhaftes Gen sorgt dafür, dass der Gerinnungsfaktor VIII (bei der Hämophilie A) oder der Gerinnungsfaktor IX (bei der Hämophilie B) nicht ausreichend von der Leber produziert wird. Der Gendefekt liegt im X-Chromosom, die Vererbung erfolgt rezessiv. Das bedeutet, dass meistens Männer von der Hämophilie betroffen sind. Bei Frauen wird der Gendefekt durch das zweite, gesunde X-Chromosom ausgemerzt. Selten aber doch kann es auch bei ihnen zu einer erhöhten Blutungsneigung kommen.

In der Gentherapie wird der genetische Defekt eines Hämophilie-Patienten durch ein gesundes Gen repariert. Hüllen von inaktivierten Viren fungieren als Transportmittel, sie verpacken die gewünschte Erbinformation. Diese Pakete werden injiziert, im Körper schlängeln sie sich in die Leber, wo die gewünschte DNA in das Erbgut der Zellen eingebaut wird. Die Virenhüllen werden abgebaut, gleichzeitig produziert die Leber wieder den fehlenden Gerinnungsfaktor, weil sie nun das „Rezept“ für dessen Herstellung kennt.

Gute Studiendaten

Die Hämophilie eignet sich laut Fachleuten ideal für eine Gentherapie. Denn nur ein einziges Gen muss ersetzt werden. Und schon ein kleiner Anstieg an Faktoraktivität hilft den Patienten. Doch es gibt Herausforderungen. Auch wenn es sich so anfühlen mag, nach einer Gentherapie ist ein Hämophilie-­Patient natürlich nicht gänzlich geheilt. Die Faktorlevel streuen stark, die Gentherapie ist noch nicht exakt vorhersehbar. Auch ist unklar, wie lange eine Gentherapie wirkt. Leberzellen haben eine begrenzte Lebenszeit. Wenn jene Zellen, die dank der Gentherapie wieder Faktor produzieren können, einmal absterben, geht auch die Erbinformation wieder verloren.

Doch Studiendaten zeigen: Die Blutungsraten gehen nach der Gentherapie deutlich zurück. Die Gabe von zusätzlichem Gerinnungsfaktor sinkt gegen null. Patienten und Angehörige sind hoffnungsvoll, sie erleben spannende Zeiten. Zahlreiche Pharmaunternehmen arbeiten an einer Marktzulassung, es ist wohl nur eine Frage der Zeit. In Österreich ist die medizinische Versorgung gut, trotzdem gibt es einige Patienten mit chronischen Beschwerden. Der große Traum nach der besonderen Spritze könnte dies nachhaltig verändern. ••

Dieser Text erschien zuerst in der STANDARD-Beilage „Seltene Erkrankungen“. Wir danken der Agentur Mediaplanet für das Einverständnis, ihn auch im FAKTOR abdrucken zu dürfen.

Im Idealfall würde bei einer erfolgreichen ­Gentherapie die Prophylaxe entfallen.